Tag #3: Sprache und Identität
Heute geht es weiter mit einem Geheimnis zum erfolgreichen Sprachenlernen.
Warum können manche gut Deutsch lernen und andere nicht?
Wieso glauben wir, dass Kinder besser und einfacher eine Sprache lernen können als Erwachsene?
Ich glaube, der Grund ist dieser hier:
Unsere Identität
Wie entscheidet also deine Identität, ob du gut Deutsch lernen wirst oder nicht?
Unten findest du auch das Transkript zum Nachlesen.
Das Transkript #Tag 3
Na, da bin ich wieder. Hast du gestern über deinen eigenen Erfolg beim Sprachenlernen nachgedacht?
Ich habe dir versprochen, von der magischen Formel zu erzählen, nicht?
Ja, die Magie fängt in uns an. In unserem Glauben, in unserer Identität und in unseren Entscheidungen. Tag für Tag. Jede Minute. Jede Sekunde treffen wir neue Entscheidungen. Und genau in diesen Momenten und genau diese Mini-Entscheidungen prägen unser Schicksal.
Ich könnte sagen: Die deutsche Sprache war mein Schicksal. Oder vielleicht meine Entscheidung, aber zu Beginn eine ganz unbewusste.
Ich hatte in der Schule die Wahl, ob ich Deutsch oder Englisch lernen wollte.
Und obwohl ich die englische Sprache viel schöner und wohlklingender fand, habe ich mich aus praktischen Gründen für Deutsch entschieden.
Du wirst lachen, wenn du die praktischen Gründe hörst.
Meine Eltern besaßen damals 3 große deutsche Wörterbücher und nur ein kleines englisches Wörterbuch. Genau, das war ihre Begründung.
Es war damals ein heißer bulgarischer Sommer - im Juli 1998, also fast gute 20 Jahre her… meine Güte! Ja und damals musste ich mich entscheiden, welche Sprache ich lernen will.
Da hat meine Mutter gesagt: Schau mal, wenn du Deutsch wählst, haben wir ein paar Bücher zu Hause. Dein Vater und ich haben auch vor vielen Jahren ein bisschen Deutsch gelernt und vielleicht könnten wir dir ein bisschen damit helfen. Diktate machen oder wer weiß wie…
Englisch hat so eine komische Aussprache, das kann ich noch nicht mal lesen. Da wirst du ganz auf dich alleine gestellt sein.
Und außerdem ist Deutschland viel näher an Bulgarien. Es kommen viele deutsche Touristen im Sommer. Da wirst du bestimmt mehr Möglichkeiten haben, mit ihnen Deutsch zu sprechen.
Aha… als ob man einfach auf die Straße geht und die deutschen Touristen stehen schon da bereits Schlange, und warten nur darauf, sich mit mir zu unterhalten :-)
Ja… aber das war der Grund.
Es war quasi meine Mutter mit ihren weisen Worten, die für mich praktisch die Entscheidung getroffen hat.
Und so lernte ich Deutsch. Englisch auch, aber nur als zweite Fremdsprache… also konnte ich ganz wenig davon.
Jedenfalls habe ich mich nach dem Gymnasium entschlossen, dass es aus dem deutschen Touristenchat am Meer oder auf der Straße nichts wird und dass wenn ich weiterhin mein Deutsch verbessern möchte, ich selbst nach Deutschland fahren müsste.
Schon wieder eine Entscheidung. Und wieder eine ganz praktische.
Ich habe mir gedacht… naja, nachdem ich schon 5 Jahre lange über die deutschen Weihnachtsmärkte, über Räuchermännchen und Nussknacker gelesen habe und mir diese super komplizierten Wörter reinziehen musste, dann kann ich auch mal hinfahren und es mir persönlich angucken.
Und so flog ich hin… erstmal nur für ein Jahr…
dann fürs Studium…
und im Endeffekt wurden es fast 10 Jahre.
Eine Entscheidung führt zu der nächsten. Aber alles begann mit den 3 Wörterbüchern meiner Eltern.
Es waren mehrere Mikro-Entscheidungen, die ich mit den Jahren treffen musste.
Unter anderem, wie gut ich Deutsch sprechen möchte, dass ich Deutsch studieren wollte und dass ich auch Deutsch unterrichten wollte.
Eine Reihe von Entscheidungen, die nur ich treffen konnte und die mich hierher gebracht haben, wo ich jetzt bin.
Oder besser gesagt, wer ich heute bin.
Aber wie setzt sich unsere Identität zusammen?
Wer bist du? Wer bin ich?
Wie beantwortet man so eine Frage?
Mein Name ist Dilyana… Unser Name verrät schon viel. Woher wir kommen oder zumindest, was unsere Eltern damals schön fanden :-)
Mein Name ist bulgarisch. Es ist der Name einer Blume. Und er passt gut zu mir, denn ich bin in Bulgarien geboren. Meine Eltern, meine Großeltern und meine ganze Familie sind Bulgaren.
Unsere Herkunft prägt schon sehr unsere Identität, muss man schon sagen, aber es gibt auch ganz viele andere Faktoren.
Unsere Identität entwickelt sich mit der Zeit. Und wir sind ein Produkt unserer eigenen Wahrnehmung, unseres Glaubens und unserer Wünsche. Wir sind das, was wir glauben, dass wir sind.
Viele Menschen identifizieren sich mit ihrem Beruf. Sie sagen: Ich bin Arzt oder ich bin Rechtsanwalt… ich bin Lehrerin. Ja, sicherlich verbringen wir einen großen Teil unseres Lebens mit der Arbeit und damit prägt sie auch ein Stück von unserer Identität.
Aber wir sind auch ein Stück von unserer Umgebung. Man sagt, dass wir ein Durchschnitt von den Leuten sind, mit denen wir uns umgeben. Ob das hunterpronzentig stimmt, weiß ich nicht, aber unsere Freunde und die Menschen, mit denen wir jeden Tag Zeit verbringen, haben sicherlich einen Einfluss auf unsere Entscheidungen, unsere Denkweise und haben einen Einfluss darauf, wer wir sind.
Unsere Identität ist also komplex.
Gut, aber was hat das mit Sprachenlernen zu tun?
Eine Menge finde ich.
Denn der Grund, warum wir eine Sprache lernen, sind andere Menschen.
Die Sprache ist nur ein Werkzeug. Und wir benutzen dieses Werkzeug, um mit anderen in Kontakt zu treten.
Die Sprache ist etwas, was uns Menschen von den Tieren unterscheidet. Wir brauchen die Kommunikation und die Interaktion mit anderen Menschen, weil das wichtig für unsere geistige Entwicklung ist.
Und das beginnt in ganz jungen Jahren.
Es ist bewiesen, dass Babys nicht überleben können, wenn sie menschliche Sprache nicht hören.
Wir brauchen aber die Sprache nicht nur als Kleinkinder, sondern ein ganzes Leben lang.
Und es ist ein Mythos, dass kleine Kinder problemlos und super schnell alles lernen.
Sie müssen sich auch anstrengen. Bei denen dauert es auch mehrere Jahre, bis sie ganze Sätze sagen können.
Ich sehe es jeden Tag mit meinem Sohn. Er ist gerade mal 2 und obwohl er jeden Tag uns sprechen hört, kann er noch nicht fließend sprechen.
Er sagt einzelne Wörter und seine Aussprache ist weit von perfekt.
Er wiederholt es mehrmals und manchmal ist es auch für ihn frustrierend, dass wir seine Babysprache nicht verstehen. Aber er gibt nicht auf :-)
Auch bei älteren Kindern beobachte ich das gleiche. Erst wenn sie 6-7 Jahre alt sind, können sie in längeren Sätzen kommunizieren und auch längere Konversationen halten.
6 bis 7 Jahre Leute! Und hier reden wir von Muttersprachlern! Die den ganzen Tag von der Sprache umgeben sind und eine super starke Motivation haben, akzeptiert zu werden und sich mit ihren Freunden und mit ihrer Familie unterhalten zu können.
Nicht 6 bis 7 Monate!
Ich glaube, jeder, der erwartet in 6-7 Monaten eine Fremdsprache fließend zu sprechen, hat einfach die falsche Erwartung!
Man darf nicht unterschätzen, wie viel Wortschatz es zu lernen gibt. Und wie viel Wiederholung dadrin steckt.
Und ich glaube schon, dass wir als Erwachsene das Lernen viel rationaler angehen und das als Allererstes lernen, was uns relevant erscheint. Es macht auch Sinn.
Aber noch mal zur Identität zurück!
Sprachenlernen ist eine soziale Sache. Genauso wie Kinder oder Teenager bei ihren Freunden beliebt sein möchten und sich mit ihnen austauschen wollen, so lernen wir als Erwachsene auch eine Sprache, um mit anderen Menschen zu sprechen. Mit Kollegen, mit Nachbarn, mit Behörden, mit unseren neuen Freunden.
Und dazu kommen auch noch die kulturellen Aspekte mit ins Spiel.
Jeder, der schon in einer Kultur aufgewachsen ist, hat die Kommunikationsregeln dieser Kultur erlernt. Wir haben uns diesen Kommunikationsregeln angepasst und haben es mit den Jahren zum Teil unserer Identität gemacht.
Dann lernen wir plötzlich eine neue Sprache, mit ihren kulturellen Besonderheiten und teilweise neuen Kommunikationsregeln. Und natürlich fällt es uns schwer auf einmal die alte Identität abzulegen und die neue zu akzeptieren.
Denn es ist dank der alten Identität, dass wir es so weit geschafft haben und bis jetzt überlebt haben.
Das Gute ist: Wir verändern uns ständig. Genauso wie alles um uns herum. Nichts bleibt stehen und nichts bleibt so wie es ist. Und wir als Menschen haben die freie Wahl zu entscheiden, wer wir waren, wer wir sind, und wer wir sein möchten.
Denn unsere Identität ist eine Mischung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Und mit allem Neuen, was wir lernen, treffen wir die Entscheidung, etwas an uns zu verändern, etwas Neues auszuprobieren, was uns hoffentlich ein Stück weiter bringt.
Es ist nicht einfach zu beschreiben, wer wir sind.
Aber es sind die kleinen Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen, die uns zu den Personen machen, die wir morgen sein werden.
Deshalb auch die Frage: Wer möchtest du sein? Wer möchtest du werden?
Und die Sprache, sei sie Deutsch, Englisch, Bulgarisch, Arabisch oder Spanisch… sie ist nur ein Werkzeug… um dich näher an die Leute zu bringen, mit denen du mehr Zeit verbringen möchtest. Die Leute, die deine Zukunftsidentität mitprägen werden.
Und du entscheidest, was du davon nimmst und was du lässt.
Meine Fragen an dich:
Wie hat die deutsche Sprache oder Kultur deine Identität geprägt?
Was davon hast du dir zu eigen gemacht?
Mehr Tipps zum Sprechen findest du in meinem E-Book "Einfach.Besser.Sprechen"
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